Rückzug oder Einzug – was soll Wissenschaft zu COVID-19 in den Medien?
 

OD: Moin Mathias! Passend zur anstehenden Karwoche wird die COVID-19-Entschleunigung bei uns verlängert und mit staatlichen Sanktionen unterlegt. Dafür gilt Schokolade jetzt von Amts wegen als Lebensmittel. Berlin bleibt gelassen. Wie sieht es in Witzenhausen aus? 

MB: Moin Ole. „Panem et circenses“. Schon die alten Römer wussten, wie wichtig es ist, die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Unterhaltung zu beruhigen. Schokolade ist daher wichtig. Wie lange wir aber ohne (Fußball-)spiele auskommen werden, wird man noch sehen. Es kommt sicherlich auch auf die wissenschaftlich gut begründeten Maßnahmen an, die – ethisch vertretbar und im Rahmen unserer Verfassung – von den Entscheidungsträgern getroffen und adäquat kommuniziert werden.

 

OD:  Richtig. Diese und weitere Fragen der Ethik in der Globalen Gesundheit haben wir am Mittwoch in einem Webinar im Rahmen des Global Health Hub Germany angesprochen und diskutiert. Wir werten die reiche und spannende Debatte noch aus. Ein wichtiges Thema ist die Verantwortung der Medien… 

MB:…und sicherlich auch der vielen Wissenschaftler und der anderen „Experten“, die jetzt in den Medien omnipräsent sind…

 

OD: Ja, wie z.B. auch der Virologe Dr. Drosten, der der Öffentlichkeit als Gesicht der Kompetenz und Impulsgeber von RKI bis Bundesregierung präsentiert wird. Man inszenierte ihn fast schon als ein heilpriesterliches Orakel, seine Wissenschaft als Religion in Zeiten der Verwirrung. Dabei gibt er selbst sich alle Mühe, den Eindruck allgewaltiger Autorität in Gesundheitsfragen zu korrigieren. Mittlerweile folgte nun seine Ansage: „Wir sind hier langsam an einem Punkt, wo dann demnächst auch die Wissenschaft in geordneter Weisen den Rückzug antreten muss, wenn das nicht aufhört„. Die Presse gibt sich alarmiert, aber auch verständnisvoll.

 

MB: Interessanterweise ist es dieselbe Presse, die ihn zuerst auf den Corona-Olymp gehoben hat. Wenn man so liest und hört, welcher Kritik und welchen persönlichen Angriffen er zwischenzeitlich ausgesetzt war, kann ich seinen Wunsch zum Rückzug schon verstehen. Allerdings hat er durch die große Öffentlichkeit natürlich auch deutlich profitiert. Die Coronavirus-Forschungsgelder werden momentan scheinbar schneller bewilligt, als sie beantragt werden können (nicht nur für die Charité natürlich).

 

OD: Bei allem Verständnis und Respekt gegenüber einem fachfremden Kollegen, für das Ende seiner Geduld, es ist doch längst überfällig, den Beitrag der Wissenschaft auch medial angemessen einzuordnen. Drosten verweist konsequent darauf, dass die Politik über den Umgang mit der Krise entscheidet, nicht die Wissenschaft. Im Rahmen unserer gesellschaftlichen Arbeitsteilung stimmt das. Aber es ist nicht so einfach wie es scheint. Tatsächlich orientiert sich verantwortungsvolle Politik an dem was wir durch wissenschaftliche Arbeit wissen. Dabei kommt es darauf an, alles relevante verfügbare Wissen stark zu machen. Klärung was dazu gehört, ist die entscheidende Aufgabe direkt zwischen Politik und Wissenschaft.

 

MB:  Politische Entscheidungen sollten natürlich möglichst Evidenz-basiert, auf einen informierten Diskurs zu Zielen und Maßnahmen gestützt und unter Berücksichtigung weiterer wichtiger Aspekte (z.B den vorhandenen Ressourcen) getroffen werden. Die unabhängige Wissenschaft muss hierfür die Evidenz durch angemessene Forschungsmethoden zur Verfügung stellen (z.B. durch systematische Evaluierungen oder langfristige Bevölkerungsstudien). Diese Evidenz ist für die aktuelle Krisensituation allerdings noch kaum vorhanden. Zudem können – laut der Nationalakademie Leopoldina – in Deutschland und in anderen Ländern „Formen der Evidenzbasierung noch besser als bisher in der Politikgestaltung verankert werden“.

 

OD: Ja, das stimmt, und für die Vermittlung des Wissens an die Politik und die Öffentlichkeit sind im Wesentlichen dann auch die Medien verantwortlich. Im öffentlichen Raum werden Interessen, Gefühle, Motivationen angesprochen, die unmittelbar unser Gesundheitshandeln und politische Entscheidungen betreffen. Wie sind also die ökonomischen, kommunikativen, soziologischen, ökologischen, ethischen usw. Kompetenzen miteinander verbunden? Es sollte doch jeder für sich die richtigen Gründe erkennen, um das die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Viele Medien verstärken derzeit den Eindruck, es gehe nur um Fakten, obwohl die meisten Wissenschaftler daran erinnern, dass wir zur Zeit noch ohne solche belastbaren Daten auskommen müssen. An gutem Willen und findigen Reportern fehlt es gewiss nicht. Auch wären Nachrichten zu konkreten Modellen, Erfahrungen und Kulturen gesunden Handelns in Krisenzeiten spannend und informativ. Sie würden helfen, das wenige Wissen in praktisch verständliche Zusammenhänge einzuordnen.

 

MB: Aber die gibt es mittlerweile doch mehr als genug. Nur wird man von dieser Informationsflut überwältigt. Es bleibt kaum noch Zeit die Quellen ausgiebig zu studieren. Die neueste Information muss schnell mit einer knackigen Schlagzeile raus. Leider werden von Wissenschaftlern zunehmend auch Ergebnisse und daraus kaum ableitbare Empfehlungen veröffentlicht, die noch nicht durch ein Peer-Review Verfahren geprüft worden sind. Zum Beispiel war dieses Interview ganz oben auf der Webseite von ZEIT-Online: „Je härter die Maßnahmen, desto besser„. Auch wenn der Wissenschaftler in einem Nebensatz erwähnt, dass es sich hier um noch ungeprüfte Ergebnisse handelt, so gibt er doch sehr generalisierte und weitreichende Empfehlungen ab, inklusive medienwirksamer Zitate, die sich aus diesen Ergebnissen so nicht ableiten lassen. Ich gehe trotzdem davon aus, dass hier ein seriöser Wissenschaftler nur sein spezifisches, neues Wissen schnell an die Öffentlichkeit bringen möchte, um der Gesellschaft und den Entscheidungsträger eine Hilfestellung bieten zu können. Was man aber auch bedenken sollte ist, dass viele Journalisten, die momentan im Dauereinsatz sind, natürlich auch nicht über die wissenschaftliche Fachkompetenz verfügen können, um Forschungsergebnisse schnell in den jeweiligen Kontext zu bringen.

 

OD: Und wer kontrolliert eigentlich, ob es die Journalisten wirklich nur gut meinen und sich, trotz teilweise fehlender Fachkompetenz, wirklich Mühe geben, angemessen und verantwortlich zu berichten? Welche unabhängige Stelle gewährleistet die Seriosität und Effektivität der Selbstkontrolle? Wo ist der Ethik-Kodex, in dem die Warnung der WHO vor den Gefahren der „Infodemie“ aufgegriffen und in konkrete Hinweise umgesetzt werden? Die Homepage des Presserats bietet noch nichts dazu an. Der Verband der Wissenschaftsjournalisten übergießt Dr. Drosten derweil mit Häme anstatt mit Anstand Selbstkritik zu üben und sich dafür zu entschuldigen, einen viel beschäftigten Wissenschaftler in eine völlig falsche Rolle gestellt zu haben. Wäre das eine allgemeine Medien-Position, müssten wohl eher die Medien den „Rückzug“ antreten. Wie kann man stattdessen bewirken, dass alle an einem Strang ziehen, damit Vernunft und Ethik Einzug in die Öffentlichkeit halten? Und wie siehst du die Medien zwischen Unabhängigkeit, Informationspflicht und Verantwortung? 

 

MB: Ich denke es ist wichtig festzustellen, dass es „die Medien“ so eigentlich nicht mehr gibt. Früher gab es 3 Fernsehkanäle, eine überregionale und eine lokale Tageszeitung aus denen man dann die Lage der Welt erfahren hat. Eine Epidemie in China wäre wohl erst nach einigen Tagen auf einer der hinteren Seiten, Rubrik „Aus aller Welt“, aufgetaucht.  Jetzt gibt es das Internet, Live-„Ticker“, „Breaking News“ und natürlich die sozialen Medien sowie eine Heerschar von „Experten“, die sich in diesen mit immer wieder neuen Erkenntnissen und Empfehlungen äußern. In Australien gibt es übrigens seit einigen Wochen ein exponentielles Wachstum an Epidemiologen. Mittlerweile geben ca. 1.2 Millionen, der 24 Millionen Einwohner zu diversen Corona-Aspekten ihren „fachkundigen“ Rat ab…

 

OD: Davon sind wir in Deutschland auch nicht mehr weit von entfernt, befürchte ich. Salve…