Organische Entscheidung für Globale Gesundheit
Der deutsche Bundestag verteidigt in der Organdebatte die ethischen Grundlagen der Globalen Gesundheit.
Zur Debatte stand ein Gesetzentwurf, der eine Widerspruchslösung an die Stelle selbstverantwortlicher Entscheidung über die Registrierung als Organspender setzen sollte. Danach würde jeder zum Organspender, der nicht ausdrücklich etwas anderes mitgeteilt hat. Der geltende Grundsatz, wonach nur diejenigen Organspender sind, die selbst oder deren Angehörige ausdrücklich zustimmen, würde damit umgekehrt. Anders als es viele erwartet hatten (1), fiel das Ergebnis deutlich aus: die Vorlage wurde mit 379 Stimmen zu 292 abgelehnt. Die bisherige Lösung, wonach als Organspender gilt, wer sich ausdrücklich dafür entscheidet, wird beibehalten und modifiziert. Diese Entscheidungslösung ist allerdings nur eine normative „Lösung“, keine medizinische oder soziale. Damit wird die Eigenverantwortung aller Akteure nicht ersetzt sondern erst ermöglicht.
Der oft überstrapazierte Begriff einer angehenden „Revolution“ der Rechtskultur war hier einmal angebracht (2). Es wäre einer Umwertung der Grundwerte gleichgekommen, die Zustimmung durch einen Widerspruch zu ersetzen. Durch die Widerspruchslösung hätte der Staat die informierte Zustimmung aufgeben und damit einen der wichtigsten Grundsätze in der Medizin. Die informierte Zustimmung ist eine Errungenschaft der Medizinethik: Immer, wenn Ärzte etwas tun wollen, müssen die Betroffenen vorher dem Eingriff zustimmen. Schweigen darf niemals als Zustimmung gelten (3).
In einer Sternstunde der parlamentarischen Demokratie wurde dieser – bei allem guten Willen, die Verfügbarkeit von Organen zum Wohle von Bedürftigen zu erhöhen – grundfalsche Vorstoß zurückgewiesen. Die Debatte erinnerte in ihrer inhaltlichen Breite, dem Ernst und der Offenheit an die großen Diskurse zur Embryonen-Forschung Anfang der 2000er. Über Parteizwänge und gewohnte moralische Lager hinweg ging es um denselben Kern, nämlich um die Abwehr utilitaristischer (d.h. kollektive Nutzenmaximierung versprechende) Übergriffe auf die Unbestimmtheit der menschlichen Würde im Spannungsfeld des medizinisch Machbaren und des ärztlich Verantwortbaren.
Das große Ganze im kleinsten Detail
Hier zeigt sich auch der Unterschied zwischen Globaler Gesundheit und internationaler Medizin: es geht um das große Ganze im kleinsten Detail, darum was der ganzheitliche Gesundheitsbegriff der WHO (4) von jedem Einzelnen fordert. Diese Art von Fragen läßt sich nie allein durch Naturwissenschaft, Technik oder Regulation beantworten, denn sie bezieht immer die Lebenserfahrung, Subjektivität und Ganzheit des Individuums ein. Der „globale“ Blick auf Gesundheit erweitert die salutogenen Kompetenzen (5), betrachtet verschiedene Interessen in einem sozialen oder ökologischen Kontext und und macht sie „rund“, indem sie normative Gestalt annimmt: Auch der fehlerhafteste Mensch darf nicht durch Standardisierung seiner Selbstbestimmung um den eigene Beitrag zur Verantwortung gebracht werden. Das ist der Würde-Kern des Menschenrechts, als ein prinzipielles Abwehrrecht gegen Machtübergriffe, ob sie nun durch direkte oder strukturelle Gewalt erfolgen. Schon die rechtsförmige Standardisierung der Bedeutung menschlicher Selbstbestimmung übt Deutungsmacht aus und kann nur prozedural, nicht substantiell gerechtfertigt werden. Dieser Grundsatz verbindet den einzelnen Bürger mit der gesamten Gesellschaft und der Weltgemeinschaft.
Somit ging es nicht um eine „Kultur der Organspende“ sondern um eine Kultur der Gesundheit, die sich dem Gesamtzusammenhang der Fragen, wie Gesundheit möglichst gefördert und Leiden umfassend behandelt werden kann, salutogen widmet. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann und darf nicht erst durch einen Widerspruch aktiviert werden. Es ist „unantastbar“, sollte also unter keinen Umständen überhaupt zur Debatte stehen. Der Gesamtzusammenhang des Lebens eröffnet ganz unterschiedliche politische Strategien und Lebensentwürfe, mit oder ohne Spender-Organ. Globale Gesundheit bezieht nicht nur die organischen Aspekte ein, sondern erwägt auch die psychosozialen und geistigen Ressourcen für gesundes Handeln, aus der Sicht von umfassender Gerechtigkeit und Verantwortung.
Unstrittig ist die moralische Pflicht, sich verantwortungsvoll und hilfsbereit Menschen in Not gegenüber zu verhalten. Damit ist aber ethisch ausdrücklich keine spezifische Form der rechtlichen Verpflichtung verbunden. Eine Entscheidung, zum Beispiel ob man sich als Organspender registrieren lassen will, können wir von jedem verlangen (6). Die damit faktisch verbundene Voraussicht auf die konkreten Konsequenzen dieser Zustimmung zu dem, was bei einem Unfall, in der Klinik oder in der Verwaltung passiert, kann jedoch niemand leisten. Das Vertrauen in die bestehenden medizinischen Institutionen darf der Staat nicht erzwingen, vielmehr müssen es diese sich verdienen.
Wie immer, wenn es keine einfachen Wahrheiten gibt, ist Augenmaß und kritische Selbstreflektion gefragt. Alternative Optionen zu einer vermeintlichen Lösung durch positives Recht sollten immer mit bedacht und grundsätzlich gestärkt werden – wie einerseits die Verringerung verhaltensabhängiger Ursachen für den Bedarf an Organtransplantationen oder andererseits eine gesündere Einstellung zum Umgang mit unvermeidlichem Leid und Tod.
Diese Überlegung hat sich im deutschen Bundestag mit klarer Mehrheit durchgesetzt. Damit gibt Deutschland auch international ein Beispiel, was es heissen kann, sich in Gesundheitsfragen zugleich aus weltbürgerlicher wie staatsbürgerlicher Haltung zu verhalten.
(Ein Kommentar von Ole Doering)