OD: Moin Mathias! Die Berliner Polizeipräsidentin findet, am Wochenende haben wir Bürger uns trotz des tollen Wetters unauffällig verhalten. Sie beobachtet aber, dass die Stimmung gereizter wird. Wie ist die COVID-Wetterlage in Witzenhausen? 

MB: Hier sieht es ähnlich aus. Eine Gruppe von ca. 20 Aktivisten hat gestern auf dem Marktplatz (wohl mit dem gebotenen Sicherheitsabstand) eine spontane Demonstration durchgeführt, um auf die schlimmen Bedingungen in griechischen Flüchtlingslagern und das „Massensterben im Mittelmeer“ hinzuweisen. Ein „Blockwart“ hat das schnell der Polizei gemeldet. Ein Foto davon hat dann in den sozialen Medien einige „Wutbürger“ dazu animiert, sich über die Demonstranten aufzuregen („alle wegsperren“, „draufhauen“) und ihren Unmut über die Flüchtlingsproblematik kundzutun („selber schuld, sollen dableiben, von wo sie herkommen“).

OD: Oha. Jetzt liegt ja allerlei auf dem Tisch. Die Daten und Meinungen häufen sich. Wir wissen was es kostet falsch auf einer Parkbank zu sitzen – jedenfalls wenn wir verstehen wo wir uns gerade befinden. Dafür ballt sich das Kaufgeschehen legal auf den Wochenmärkten. Das ist etwas verwirrend. Wie wägen wir da ab und ordnen ein, wenn wir doch nichts sicher wissen? Die Bilder von Hammer, harter Hand, zahnlosen Tigern usw. legen nahe wie schwer wir uns tun das richtige Maß zu finden. Können wir das durch Learning-by-doing ermitteln?

MB: Gute Frage. Learning-by-doing sollte man immer machen, um durch einzelne Teilschritte die strategischen Ziele auf dem Weg zum Zweck der Gesundheit zu erreichen. Dafür muss man, je nach Zwischenergebnis, immer wieder aufs Neue prüfen und ggf. nachjustieren. Dazu braucht es Ausgangsdaten, Verlaufsbeobachtungen (Monitoring) und abschließende Analysen (Evaluationen), als Faktengrundlage für die, dann immer mehr Evidenz-basierten Entscheidungen. 

OD: Das muss während einer sich schnell ausbreitenden Pandemie aber laufend und ad-hoc passieren. Wo bekommen die Entscheidungsträger ihre Informationen, Daten und Analysen, die ja auch Gesetze begründen sollen, so schnell her?
 
MB: In „normalen“ Zeiten werden politische Entscheidungsträger durch eine Vielzahl von Akteuren informiert und beeinflusst. Da sind wissenschaftliche Mitarbeiter, Expertengremien, Denkfabriken, die Advokaten der Nichtregierungsorganisationen und die Lobbyisten der Unternehmen und Wirtschaftsverbände. In Krisenzeiten sind dann mehr die individuellen Experten aus den spezifischen Fachgebieten (z.B. initial die Virologen, dann Epidemiologen, Mediziner usw..) enge Berater der Politik. Diese verfügen zwar über sehr wichtige fachliche Expertise, kennen sich aber meist im politischen und medialen Umfeld nicht so gut aus, auch nicht immer in der Wissenschaft jenseits ihrer Disziplin. Dieses kann dazu führen, dass manche Fachexperten, wie vom RKI, von der BAuA oder in der BZGA, etwas angestrengt und genervt wirken. 

OD: Diesen Akronym-Behörden werde ich mal nachgehen. Lass uns deren Arbeitsteilung genauer ansehen – damit wir besser verstehen, wie der Staat seinen scharfzahnigen Tiger mit geschickter Hand zu führen versucht. Ich habe den Verdacht, dass da manches klarzustellen ist.
 
MB: Klingt gut, gerade in schnelllebigen Zeiten, wo die Expertise dieser Fachleute aus den „nachgeordneten“ Behörden so wichtig ist, bekommen diese (noch) nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Schließlich werden gerade hier die Notfallpläne für z.B. eine Pandemie nicht nur entworfen, sondern auch praktisch umgesetzt. 
Salve…