Globale Gesundheit wagen! Deutschland bleibt bei den UN-Nachhaltigkeitszielen hinter den eigenen Ansprüchen zurück.
Ein Kommentar von Ole Döring
Eben hat die UNO den Bericht 2019 zum Stand der Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) veröffentlicht. Demnach wird Deutschland trotz eines sechsten Platzes im Vergleich mit anderen Ländern seinen Qualitätsansprüchen nicht gerecht. Deutschland macht zu wenig aus seinem Wissen und seinem Wohlstand.
Eines der drängendsten strukturellen Probleme hierzulande ist die Ungerechtigkeit im Gesundheitswesen. Der aktuelle UN-Report bestätigt einen stabilen wenn auch unerwünschten Trend: in wohlhabenden Ländern wie Deutschland bedingen sich relative Armut und Krankheit in wachsendem Maße gegenseitig. Laut OECD wächst die Dynamik dieser negativen Spirale besorgniserregend. Die WHO hat im Zusammenhang mit den SDGs die Allgemeine Gesundheits-Absicherung (Universal Health Coverage, UHC) zur Priorität erklärt. Mit ihr ist ein Zugang zu einer menschenwürdigen Mindestversorgung verbunden, die jeden Menschen befähigt, durch eigene Kraft, Bildung und soziales Leben seinen Beitrag zur Erfüllung der SDGs zu leisten – vor allem, für die Kompetenz sich durch eigenes Handeln selbst gesund zu halten.
Die subjektiv wahrgenommene ebenso wie die objektiv meßbare Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung begründen den Befund von Ungerechtigkeit bzw. Gerechtigkeits-Defiziten, wenn diese Ungleichheit als diskriminierend verstanden wird, insbesondere in Abhängigkeit vom Einkommen. Hier werden Noxen für psychische Erkrankungen angelegt, die individuelle Wertschöpfung und die gesamte Volkswirtschaft beeinträchtigen.
Eine konsequente Konzentration auf Globale Gesundheit als Treiber in allen Politikfeldern kann den Wohlstand in eine Ressource für sämtliche SDGs umwandeln. Dazu muß Globale Gesundheit allerdings richtig neu verstanden und organisiert werden – als eine Qualität, die jeden Menschen unmittelbar angeht, die untrennbar mit unserem Handeln verbunden ist und ein solidarisches Miteinander der gesamten Menschheit für Gesundheit zum Organisationsprinzip macht. Eine gesunde Welt kann nicht aus leidenden Menschen und kranken Gesellschaften wachsen.
Die Problemlage wird beim Blick auf die Länder China und USA deutlich: beide liegen in der UN-SDG-Rangfolge beinahe gleichauf – die USA als stolze Demokratie und selbsternannte Führungsmacht aufgrund massiver Gerechtigkeitsdefizite auf Rang 37, die Volksrepublik China hat sich seit 40 Jahren durch eine Entwicklung in die Globalisierung hinein gearbeitet, für die Europa drei Jahrhunderte gebraucht hat, und ist bereits auf Rang 39 aufgeschlossen; dazwischen liegt mit Australien eine weitere stabile moderne Demokratie. Das eben in Qingdao abgehaltene Global Health Bo’ao-Forum untermauert Chinas Vitalität und Entschlossenheit, gemeinsam mit den Vereinten Nationen und der WHO die SDGs durch Maßnahmen für „Health in all policies“ und UHC voranzubringen. Die Chancen, gemeinsam mit dieser Weltmacht im Zuge der Umsetzung der Neuen Seidenstrassen-Initiative für die Globale Gesundheit zu lernen, dürfen nicht durch Befangenheit im Denken des 20. Jahrhunderts vertan werden.
Wenn Deutschland seine Rolle als Treiber und Vorreiter der Globalen Gesundheit ernst meint, wird es seine Bemühungen vergrößern müssen, eigene Gerechtigkeits-Defizite abzubauen und zugleich die eigenen Beiträge zu den Ursachen weltweiter Ungerechtigkeit und Armut wirksam in den Griff bekommen. Ein eigenes umfassend gutes Gesundheits-System wäre ein Modell guter Praxis, das andere inspirieren kann, da es zugleich den Kern einer gesunden Ökonomie bildet.
Bislang fehlt es dazu noch an einer spürbaren Kohärenz der politischen Akteure, an einer echten trans-disziplinären Arbeit zu den kulturellen, ethischen und Governance-Kompetenzen für Globale Gesundheit und an konzeptuellen Grundlagen für Szenarien, die aus den erklärten Zielen und Prioritäten eine programmatische Roadmap machen können. Diese Hausaufgaben stecken in der Bestandsaufnahme der UN zu den SDGs. Diagnose und Therapieplan sind da, jetzt müssen die Akteure „Adherence“ walten lassen – und salutogen handeln!