Die Coronapandemie in den USA

Eine Analyse von Timo Ulrichs, IGGB und Akkon Hochschule für Humanwissenschaften

Einige westliche Industrieländer sind besonders hart von der Ausbreitung des Coronavirus‘ getroffen worden, z.B. Italien und Spanien, wo die Ausbreitung zunächst unbemerkt und v.a. über die Krankenhäuser erfolgte. In keinem Industrieland aber sind die Folgen der Pandemie so drastisch zu spüren wie in den USA. Und es ist noch kein Ende der Verschlimmerung der Lage dort abzusehen. Betrachtet man mögliche Ursachen für die aktuelle Lage der Coronavirus-Bekämpfung in den USA, so lassen sich diese in zwei Gruppen einteilen: systemimmanente und besondere des Krisenmanagements der Trump-Regierung.

  1. Ursachen für die Coronakrise in den USA, die im Gesundheitssystem der USA begründet sind

In den USA gibt es kein allgemeines Gesundheitswesen, wie wir es in Europa kennen, das entweder über Krankenversicherungsbeiträge oder über Steuern finanziert ist. Stattdessen ist das US-amerikanische Gesundheitswesen über freiwillige Krankenversicherungen finanziert, die meistens Bestandteil des Arbeitsvertrages sind („Health plan“) – und sofort entfallen bei Jobverlust. Wer in gutbezahlten Berufen arbeitet, kann sich einen umfassenden Health plan leisten, wer weniger gut dotierte Jobs ausübt, hat meistens auch nur eine sehr schmale Versorgung im Krankheitsfall. Und viele ärmere Amerikaner können sich überhaupt keine Krankenversicherung leisten. Vor der Coronakrise waren 27,5 Millionen US-Amerikaner ohne Krankenversicherung, das entsprach ca. 8,5% der Bevölkerung (1). Durch die momentane Entlassungswelle im Rahmen der Corona-Pandemie steigt diese Zahl nun sehr schnell an. Gesundheitsversorgung war und ist also sehr ungleich verteilt. Hinzu kommt, dass das auch der Gesundheitssektor in den USA marktwirtschaftlich funktioniert, also nach Angebot und Nachfrage. Eine Gebührenordnung für Ärzte ist in den USA unbekannt, die Preise für Operationen und Behandlungen richten sich nach dem (Gesundheits-)Markt. Auf diesem gibt es high-end-Anbieter, die zu den besten der Welt gehören, wie z.B. das Children’s Hospital der Harvard Medical School (2), und sehr schlecht ausgestattete Gesundheitseinrichtungen, denen auch eine Minimalversorgung schwerfällt. Da es keine Preisbindung und auch keine Kostendeckelung gibt, sind die Gesundheitsausgaben in den USA sehr hoch (ca. 16 bis 18% des BIP; zum Vergleich: innerhalb der EU und auch in Deutschland sind es ca. 11% des BIP; 3). Das US-amerikanische Gesundheitswesen hat also keine gute Abdeckung, das heisst, es erreicht viele Menschen nicht und bietet auch nicht alle Leistungen für alle an). Zudem ist es sehr ineffizient – in weiten Teilen ist die Situation in den USA mit der gesundheitlichen Unterversorgung in Entwicklungsländern vergleichbar.

Trifft nun die außerordentliche Belastung einer sich schnell verbreitenden Seuche auf dieses Gesundheitswesen, verhindert die oben beschriebene gesundheitliche Ungleichheit der US-amerikanischen Bevölkerung eine flächendeckende und bedarfsgerechte medizinische Versorgung. Reiche können sich Tests, die bestmögliche medizinische Versorgung und sogar private Beatmungsgeräte leisten, Arme bleiben dem Gesundheitswesen fern und werden zu spät und oft unzureichend versorgt. Das US-amerikanische Gesundheitswesen konnte schon vor der Coronapandemie aufgrund seiner Struktur die beiden wichtigsten Aufgaben eines Gesundheitssystems nicht lösen: durch Krankheit nicht arm und durch Armut nicht krank zu werden. Unter den Afroamerikanern und Hispanics ist der Anteil Nichtversicherter viel höher als bei der weißen Bevölkerung, auch ihre Einkommen liegen im Durchschnitt um ca. 25% niedriger als bei Weißen, weshalb sich viele eine nicht im Arbeitsvertrag enthaltene Krankenversicherung schlicht nicht leisten können. Aufgrund ihrer unzureichenden gesundheitlichen Versorgung (auch im Bereich Vorsorge und Prävention) leiden Afroamerikaner viel häufiger unter chronischen Erkrankungen wie Herzkreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus. Auch Adipositas ist unter Afroamerikanern stärker verbreitet mit allen gesundheitlichen Konsequenzen. Das alles wiederum macht sie anfälliger für einen schwereren Verlauf mit Todesfolge einer Covid-19-Erkrankung. Tatsächlich ist ihr Anteil unter den bisherigen Todesfällen im Rahmen der Coronapandemie in den USA überproportional hoch (4).

  1. Systemische Ursachen für die Corona-Krise in den USA außerhalb des Gesundheitssystems

Maßnahmen zur Eindämmung der Virusausbreitung wie Geschäftsschließungen, Stilllegung von Fabriken und andere die US-amerikanische Wirtschaft betreffende Anordnungen hatten in der Frühphase der Virusausbreitung in den USA einen massiven Anstieg der Arbeitslosenzahlen zur Folge, der Woche für Woche um Millionen weitere wächst. Staatliche Schutzmaßnahmen zur Grundsicherung der Arbeitnehmer wie z.B. Kurzarbeit sind in den USA zum großen Teil unbekannt. Mit ihren Jobs verlieren die Menschen auch automatisch ihre Krankenversicherung, und viele hatten keinerlei Rücklagen, um Sonderausgaben abdecken zu können. Essensausgaben von Armenküchen, die Versorgung von Obdachlosen und andere karitative Einrichtungen sind bereits jetzt mit einer sprunghaft gestiegenen Nachfrage konfrontiert. Existenzsorgen der Betroffenen lassen die Beachtung von Vorsorgemaßnahmen häufig in den Hintergrund treten. Die sozialen Sicherungssysteme fangen in den USA weder Arbeitslosigkeit noch sozialen Abstieg auf, so wie wir es in Europa gewohnt sind (5). Ganz zu schweigen von den sogannten „illegal aliens“, also Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltstitel, die überhaupt keine gesundheitliche Versorgung erhalten können. Durch die mit der Coronapandemie verbundene Wirtschaftskrise wird also die soziale Ungleichheit in den USA weiter verschärft.

  1. Die Rolle der Centers for Disease Control and Prevention (CDC)

Eigentlich sind die CDC die weltweit führende Institution in der Forschung, Diagnostik und Bekämpfung von Ausbrüchen, Epi- und Pandemien. Bei dem Ebola Ausbruch in Westafrika 2015 und bei der H1N1-Influenzapandemie 2009 („Schweinegrippe“) waren die CDC an allen wichtigen Schritten in der Bekämpfung beteiligt. Die CDC sind personell und finanziell sehr gut ausgestattet (ca. 11.000 Mitarbeiter, ein Jahresbudget von ca. 11,1 Mrd. US-$ (6; zum Vergleich: das Robert Koch-Institut verfügt über ca. 1300 Mitarbeiter und ein Budget von 108 Mill. €). Während der Präsidentschaft von Donald Trump wurden größere Budgetkürzungen wie bei anderen Wissenschaftseinrichtungen üblich zwar abgewehrt, doch wurde das Personal in einigen Arbeitsbereichen und v.a. bei den Auslandsniederlassungen zum Teil erheblich reduziert. Auch wurde die Pandemic Taskforce aufgelöst, die in der Coronapandemie gute Dienste hätte leisten können. Hinzu kommt, dass das Weiße Haus den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zunehmend Vorgaben macht, die wissenschaftsbasierte Entscheidungen in Ausübung ihrer Tätigkeiten in der Seuchenkontrolle und der Gesundheitsüberwachung erschweren. In der Coronakrise wirkt sich auch der Umstand negativ aus, dass viele leitende CDC-Mitarbeiter mit dem Amtswechsel im Weißen Haus ersetzt wurden. Das ist nicht unüblich, allerdings hatte das unter Donald Trump zur Folge, dass besonders viele linientreue und unkritische Personen in leitende Funktionen der CDC eingesetzt wurden. Dieser Umstand erklärt wohl zumindest zum Teil, dass in der Frühphase der Pandemie der bereits etablierte Virustest der WHO abgelehnt wurde zugunsten eines eigenen, in den CDC entwickelten Tests. Dieser war jedoch noch nicht abschließend validiert, sodass wertvolle Zeit verschenkt wurde mit Überprüfungen des Tests, bevor man dann doch den weltweit üblichen Test übernahm. Führungsschwäche innerhalb der CDC zusammen mit dem politisch gewollten Unvermögen, eine zentrale und koordinierende Funktion in der Bekämpfung der Virusausbreitung in den USA zu übernehmen, in Krisenkommunikation und in der Koordination der Maßnahmen in den 50 Bundesstaaten der USA, haben in der weiteren Entwicklung dazu geführt, dass die eigentlich vorhandene umfangreiche wissenschaftliche Expertise der CDC für die Pandemiebekämpfung nicht ausreichend genutzt werden konnte.

  1. Das Krisenmanagement der Trump-Regierung

Zu Beginn der Ausbreitung des Corona-Virus‘ in den USA wurden die ersten Meldungen dazu von Präsident Trump heruntergespielt mit dem Hinweis, es sei alles unter Kontrolle. In der Phase der Vorwahlen wurde das Virus entweder als Versuch der Demokraten gewertet, ihn zu attackieren, oder als Bedrohung für die US-amerikanische Wirtschaft, deren Kennzahlen im Herbst über eine Wiederwahl Trumps mitentscheiden werden. Viele folgende Statements des US-Präsidenten haben zu einer Verharmlosung oder Nichtbeachtung der Virusausbreitung und seiner Bedrohung für alle Bereiche der US-amerikanischen Gesellschaft beigetragen, v.a. aber zu einer Verzögerung des Beginns wirksamer Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung. Hinzu kommt, dass zuständige Minister, andere Mitglieder der Regierung und Berater im Weißen Haus in der Anfangsphase diesen Kurs des Präsidenten entweder mitgetragen oder aber geschwiegen haben. Erst spät übernahm der Leiter des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID), Anthony Fauci, die Krisenkommunikation und die Koordination der notwendigen Maßnahmen im Weißen Haus – häufig gegen die Ansichten und Meinungen des US-Präsidenten (und als Ersatz für die entmachteten CDC). Hier kommt auch eine grundsätzliche Wissenschaftsfeindlichkeit des US-Präsidenten und seiner Regierung zum Tragen, die sich hinderlich auf die Koordination der Maßnahmen auswirkt.

Die fehlende Koordination aus Washington D.C. hat dazu beigetragen, dass viele Bundesstaaten ein eigenes Vorgehen entwickelten, um mit den Folgen der Virusausbreitung umzugehen. Auch die Bevölkerung hat in der Zwischenzeit selbständig Maßnahmen ergriffen, Hygiene- und Abstandsregeln eingeführt und solidarische Aktivitäten für mögliche Risikopopulationen organisiert.

Die weiteren Aktivitäten des US-Präsidenten bestanden hauptsächlich darin, Schuldige für den Umstand auszumachen, dass die USA mittlerweile zu den am stärksten betroffenen Staaten weltweit gehören. In internationalen (Schalt-)Konferenzen versuchte er, das Coronavirus als „chinesisches Virus“ oder „Wuhan-Virus“ zu benennen und mit dieser Bezeichnung eine Schuldzuweisung zu verbinden. Das Einreiseverbot für Europäer in die USA (galt/gilt nicht für Briten) stellte neben einer Reduktion der Reisetätigkeit auch den Versuch dar, Europa und besonders die EU als Krisenherd und Hochrisikogebiet darzustellen. Und schließlich machte Präsident Trump die WHO als Schuldigen für die Coronakrise aus und warf ihr Falschinformationen, Verschleppung und fehlende bzw. falsche Aktionen vor. In der Folge verkündete er einen Zahlungsstopp der Beiträge der USA für die WHO, was gerade während der Coronapandemie die multilaterale und weltweite Funktionstüchtigkeit der WHO beeinträchtigt. Die einstige, weltweite Führungsrolle der USA in der Bekämpfung globaler Gesundheitskrisen auf wissenschaftlicher (CDC), politischer und wirtschaftlicher Ebene wird also nicht nur nicht mehr wahrgenommen, sondern es werden jetzt auch Instrumente einer globalen Abstimmung aktiv behindert.

Auf nationaler Ebene stellt Präsident Trump die Coronakrise und die Gegenmaßnahmen zunehmend in den Dienst seines Wahlkampfes, indem er z.B. die Schecks für die Nothilfegelder aus einem Konjunkturpaket mit seinem Namen versehen lässt oder indem er rhetorisch die getroffenen Maßnahmen immer mit seiner Person verknüpft. Alle Aktivitäten des Präsidenten sind also weniger sach- und problemorientiert, sondern vielmehr egozentrisch und berücksichtigen nicht in erster Linie die Zielvorgaben einer Verlangsamung der Virusausbreitung oder einer Schonung der Kapazitäten des US-amerikanischen Gesundheitswesens. Eine Schonung der US-amerikanischen Wirtschaft wird eher als Instrument zur Beförderung von Trumps Wiederwahl gesehen, denn als Mittel, die Auswirkungen der Krise besonders für die Armen abzumildern.

  1. Zusammenfassung

Die Coronapandemie trifft in den USA auf ein Gesundheitssystem, das die Bevölkerung auch ohne Krisenumstände unzureichend versorgt. Die gesundheitlichen und sozialen Ungleichheiten werden durch die Coronakrise verstärkt, wirtschaftliche und gesundheitliche Sicherungssysteme sind unzureichend.

Die Coronakrise fällt in die Präsidentschaft Donald Trumps und damit in ein Klima der gesellschaftlichen Spaltung, der Wissenschafts- und Elitenfeindlichkeit, eines Präsidenten, dessen Handlungen und Aussagen sich nicht zuallererst am Wohl der Menschen orientieren, für die er Verantwortung übernommen hat, und dessen Unfähigkeit im Krisenmanagement offenbar wird.

Es bleibt zu hoffen, dass auch die US-amerikanischen Wähler dieses erkennen und bei den nächsten Wahlen diese Erkenntnis nutzen, zum Wohle ihrer eigenen Gesundheit, aber auch der Gesundheit aller Menschen in den USA sowie in vielen anderen Ländern.

 

Literatur

Weitere Informationen: