Ein Interview mit Prof. Dr. Ole Döring

für die medizinische Informationsplattform Medisiegel (Auszug).

Welche Rolle spielen kulturelle Unterschiede in Bezug auf ethische Ansätze und das Verständnis des guten Lebens in Deutschland, China und Neuseeland?

Kulturelle Unterschiede sind in moralischen Fragen solche, in denen die Normen bildenden Erfahrung einer Gemeinschaft über die Zeiten hinweg eine Gestalt gewonnen haben, die sie sprachlich und symbolisch ausformt. Zugleich unterliegen sie immer aktuellen Klärungs- und Verhandlungsprozessen, um für die Urteilsbildung der jeweiligen Zeit verständlich und verbindend zu sein.

Das gute Leben ist traditionell ein Kernbestand dieser Reflektion. Wir befinden uns seit etwa 200 Jahren in einem Prozess der Beschleunigung und Diversifizierung technisch-industrieller Entwicklungen. Trotz massiver Lernerfahrungen mit ethischen Grenzüberschreitungen haben wir noch immer keinen entsprechenden kulturellen Reifeprozess durchlaufen, der es uns erlauben würde, die aktuellen Debatten als „kulturelle“ zu interpretieren. Wir laborieren noch an einer neuen Kultur. Das ist ein Kennzeichen der globalen Moderne, in der ja auch viele Bereiche menschlicher Erfahrung zunehmend internationalisiert werden. Die Menschheit verhält sich noch immer „antiquiert“ (Günther Anders). Die Kriterien für das „gute Leben“ lassen sich leicht benennen. Dazu genügt die Gewährleistung der Menschenrechte für alle und jeden. Die entsprechenden Folgerungen der Politik, Wirtschaft aber auch der Philosophie erscheinen aber heute völlig unklar.

Die Unterschiede in der Bewertung und Organisation von Fragen des guten Lebens, insbesondere im Feld der Gesundheit können nur eingeschränkt anhand nationaler Grenzen sortiert werden. Das geht am besten bei Themen der Gesetzgebung und Governance dieser Länder, intern und in deren Zusammenarbeit.

Neuseeland orientiert sich an einer liberalen, sozialethisch interpretierten Variante des britischen Liberalismus. Gutes Leben denkt vom Individuum her, erkennt zugleich den Minderheitenschutz an und hat aus der Maori-Tradition spirituelle Tiefe und solidarische Gedanken aufgenommen.

China durchläuft die Modernisierung unter enormem Entwicklungsdruck innerhalb weniger Jahrzehnte, für die Europa Jahrhunderte hatte. Das betrifft alles – was das Gute ist, was Leben ist und welche Rolle im guten Leben die Elemente aus der breiten Palette des Werte-Bestandes jeweils spielen. Auch mit neuen Entwürfen wird experimentiert. Einen wichtigen Einfluss gewinnen die sozialdarwinistischen und utilitaristischen Erfolgsrezepte des Westens. Sie provozieren zugleich kulturell motivierte Gegenreaktionen, die am Gedanken der Kultivierung eines guten Lebens auch in der Moderne festhalten.

Deutschland wurde ähnlich wie China durch die Erfahrung des Versagens kultureller Orientierung und etablierten Gesundheitswissens durch eine technokratisch verengte Politik zu Covid-19 an den Wert des guten Lebens erinnert. Freiheitsgedanken werden jedoch eher als „Freiheit von (z.B. staatlicher Kontrolle)“ denn als „Freiheit zu (z.B. eigenem Glück)“ interpretiert.

  • Welche ethischen Überlegungen sind bei der Verteilung von essentiellen medizinischen Ressourcen in Entwicklungsländern zu beachten?
  • Welche ethischen Fragen ergeben sich aus der zunehmenden Nutzung von Künstlicher Intelligenz und Robotik im Gesundheitswesen?

Das vollständige Interview finden Sie hier!